Jörg Haider von links
Europas neuer Schrecken kommt von links. Alexis Tsipras und Gianis Varoufakis übertreffen sogar den Populismus eines Jörg Haiders.
Von Florian Harteb
Rechtsruck in Europa? Le Pen, Wilders & Co auf dem Vormarsch? Droht eine rechte Internationale? Nicht nur bei der letztjährigen Europawahl beherrschte die Angst vor dem Rechtspopulismus die Gazetten. Mit Kampagnen wie „Europa? Nein, danke!” konnten solche Formationen in einigen Ländern seit geraumer Zeit beträchtliche Erfolge verbuchen, zuletzt in Frankreich, Österreich und Finnland.
Dennoch: Das Problem wirkt oftmals überzeichnet, als ein Produkt der Schatten der Vergangenheit, der Furcht vor dem Faschismus. Die eigentliche Gefahr ist viel grundsätzlicher. Mit einer buntscheckigen Anti-Establishment-Haltung zeigen Newcomer dem tradierten System aus Konsens- und Verhandlungsdemokratie, gerade auf europäischer Ebene gepaart mit Technokratie seine Grenzen auf. Nationale und europäische Eliten stehen ratlos da, gerade jetzt, denn: Das mühsam aufgebaute Währungsgerüst und Institutionengefüge Europas bringt nun ein griechischer Linkspopulismus ins Wanken. Dafür stehen zwei Männer: Der Premierminister Alexis Tsipras, bei der Europawahl 2014 Spitzenkandidat der europäischen Linken, und sein Finanzminister Gianis Varoufakis.
In der halbjährigen Regierungszeit, also in Rekordzeit, haben sie alle Register von demagogischem Populismus gezückt, der die Rechtspopulisten trotz deren offenkundiger Fremden- und Immigrationsfeindlichkeit fast wie Waisenknaben erscheinen lässt. Das griechische Handbuch zu diesem Politstil kann mit Fug und Recht als Machiavellismus des 21. Jahrhunderts gelten. Alexis Tsipras, geboren 1974, begann sein politisches Engagement in der Kommunistischen Jugend Griechenlands, führte es als anarchistischer Anführer von Schüleraufständen und Studentengruppen fort und wurde 2008 Parteivorsitzender des Synaspismos, der größten Partei im Syriza-Wahlbündnis, das damals noch eine Kleingruppierung war.
„Plünderei” war noch ein harmloses Schimpfwort
Eigentlich ist Syriza von Natur aus sehr heterogen, eine Koalition der radikalen Linken mit einem starken kommunistischen Flügel. Vor der Wahl im Januar 2015 trieb der durch die Krise groß gewordene Tsipras schon die klientelistischen Regierungsparteien vor sich her, welche sich für die griechische Misere und das korrupte System wie den aufgeblähten Beamtenapparat verantwortlich zeichneten. Tsipras versprach eine sozialistische Politik nach dem Gießkannenprinzip: keine Einsparungen und Probleme, Hilfsgelder, Schuldenschnitt und ein Weiter-so mit dem Euro.
Nach dem Wahlsieg im Januar 2015 schmiedete Alexis Tsipras in Rekordzeit ein Regierungsbündnis mit einer eindeutigen rechtspopulistischen Partei, den Unabhängigen Griechen. Ideologisch trennt die Partner viel, doch die Einigkeit in der Wut auf die EU und die Führungsrolle Angela Merkels überwand alles Trennende. Typisch für den Populismus: Ideologie und Prinzipienlosigkeit sind kein Gegensatzpaar, vielmehr Programm. Zum besonderen Feindbild mutierte die Troika aus Internationalem Währungsfonds (IWF), EU-Kommission und Europäischer Zentralbank (EZB). „Plünderei” war noch ein harmloses Schimpfwort.
Zum Schattengefecht wurde schnell die Frage, ob Deutschland Reparationszahlungen leisten müsse und die Rückzahlung eines Zwangskredits, den Griechenland dem nationalsozialistischen Deutschland geben musste, zu veranlassen habe. Als wichtigen – böse formuliert: kongenialen – Partner holte sich Tsipras einen Seiteneinsteiger, den kosmopolitischen Wirtschaftsprofessor und Spieltheoretiker Gianis Varoufakis, der das Spiel mit den Medien perfekt beherrscht. Er beantwortet Interviewanfragen aus aller Welt auch via persönlicher E-Mail in Kürze und wirkt global omnipräsent.
Dazu tragen sein weltweites Netzwerk, ein persönlicher Blog sowie seine anerkannte Expertise in Fragen der globalen Finanzkrise bei. Sein schnittiger Stil, eine starke Dosis Marxismus, gewürzt mit einer Prise Lifestyle, lassen ihn als den modernen Salonkommunisten erscheinen, der breite Faszination über Grenzen hinweg ausübt. Tsipras und Varoufakis, dynamisch, nie mit Krawatte, haben ein Bild eines lässigen Linken kreiert, das von der Radikalität ihrer Forderungen und ihren Ansichten ablenkt und sich vom Bild des Durchschnitts- und Beamtenpolitikers, der grauen Maus, abhebt.
Keiner in Europa möchte, dass Griechenland scheitert
Das Duo startete wilden Aktionismus, unternahm Reise- und Rechtfertigungstouren durch ganz Europa, spielte die Charmeoffensive (auch gegenüber Angela Merkel), provozierte. Von Beschuldigungen bis zu Bettelbriefen und wieder zurück. Der politisch Interessierte denkt unweigerlich an Jörg Haider, den Prototyp des europäischen Rechtspopulismus, der dieses Spiel einst ebenso perfekt beherrschte. Dazu passen auch der Opfermythos und die in maximaler Öffentlichkeit zur Schau gestellte David-Goliath-Stellung gegenüber den europäischen Institutionen. Deren oft abgehobene, im Hinterzimmer agierende Repräsentanten leben in der hierarchisch organisierten Kompromisskultur und können schwer mit der griechischen Emotionspolitik, der Macho-Attitüde und der Angriffslust inklusive Mut der Verzweiflung umgehen.
Die Eurokraten denken, Politik lasse sich allein mit Verhandlungen, Zahlenfetischismus, Gipfelpolitik und Quoten lösen – ein Irrglaube, wie die Ukraine, der Terrorismus und die Flüchtlingsthematik zeigen. Zurück zu Griechenland: Vorläufiger Höhepunkt ist nun, dass die beiden Männer nach ihrem provozierten Scheitern der Brüsseler Gespräche erneut den Ton angeben. Quasi als letzten Trumpf im Ärmel gehen sie einen dritten Weg per eiligem, rechtlich halbseidenem Referendum – ein Weg, der eigentlich gar nicht vorgesehen ist: Verbleib in der Eurozone ohne Auflagen. Eigentlich sollte es in der ganzen Debatte um die Frage gehen, ob Griechenland unter Erfüllung der Reformauflagen im Euro bleibt oder den Grexit unternimmt – wie auch immer der aussehen mag, denn dafür müsste Griechenland aus der EU ausscheiden und dann als Nicht-Euro-Land wieder eintreten.
Doch diese Frage stellt das diabolische Referendum nicht. Die Bürger sollen vielmehr entscheiden, ob sie die vermeintlich ungerechten Sparauflagen der Euro-Partner akzeptieren wollen. Die von Tsipras präferierte Antwort „Nein” müsste dann in einen Antrag auf den Grexit münden. Populismus wirkt immer antiaufklärerisch, direkte Demokratie als Symbolpolitik und Placebo. Idealtypisch gilt das für die konstruierte Volksabstimmung: Tsipras spricht jetzt davon, dass es um die „Würde“ der Griechen gehe. Dabei wären die Griechen auf diese erpresserischen Methoden gar nicht angewiesen. Keiner in Europa möchte, dass Griechenland scheitert. Jeder weiß, dass ein starkes und finanziell unabhängiges Griechenland auch Europa stärkt.
Mehr noch: Griechenlands geopolitische Lage macht es zu einem wichtigen demokratischen Anker an den Außengrenzen der EU. Auch das wissen die griechischen Politiker. Aber auch das nutzen sie propagandistisch aus. Warum sonst trifft sich Alexis Tsipras immer wieder mit Wladimir Putin? Die typische Strategie aller Populisten ist durchschaubar: Man erkläre sich einfach per Dekret, ohne Legitimation aller Bürger, zum Anwalt aller einfachen und entrechteten Bürger und schaffe sich ständig neue Feindbilder. Auch hier sei an Haider erinnert, der ob der griechischen Schamlosigkeit entzückt wäre. Für die „Gedemütigten” der Entwicklungen der letzten Jahre ist Tsipras ein Robin Hood – zu dem sich Haider einst selbst küren lassen wollte. Tsipras übertrifft ihn an Machiavellismus noch. Europas neuer Schrecken kommt von links und sorgt für Stirnrunzeln im vom Prestigeprojekt Euro abhängigen Establishment, ganz nach Haiders Geschmack. Er hätte seine helle Freude an dem absurden Theater.
Mein Beitrag auf The European am 30. Juni:
http://www.theeuropean.de/florian-hartleb/10339-eu-die-linken-populisten-aus-griechenland
Eine längere, überarbeitete Fassung findet sich in einem Gastbeitrag für die Wiener Zeitung vom 1. Juli:
http://www.wienerzeitung.at/meinungen/analysen/760712_Joerg-Haider-von-links.html