GEWALTTAT VON HANAU:
„Die Handschrift eines rechtsterroristischen‚ einsamen Wolfs‘“
Florian Hartleb ist Experte für den neuen Terrorismus rechter Einzeltäter. Für ihn deutet vieles an dem mutmaßlichen Täter von Hanau auf eine Mischung aus rechtsextremen politischen Motiven und psychischen Störungen hin.
Herr Hartleb, Sie sind Politikwissenschaftler, lehren unter anderem an der Fachhochschule der Polizei Sachsen-Anhalt und haben mittlerweile schon zwei Bücher über sogenannte „Einsame Wölfe“ und den neuen Terrorismus rechter Einzeltäter geschrieben. Auch beim Täter von Hanau scheint es sich um einen solchen Täter zu handeln. Was sind das für Menschen?
Die Einzeltäter sind Männer, die sich eine persönliche Sendungsideologie zurechtgebastelt haben und die sich virtuell radikalisiert haben, dann aber nicht mit gleichgesinnten, sondern alleine losschlagen. Für eine akribische Vorbereitung spricht, dass sich die Täter als Public-Relations-Strategen in eigener Sache sehen und bei ihren Terrortaten für eine Publizität sorgen wollen, die sie für angemessen halten. Der Täter von Hanau etwa hat nicht nur ein Manifest vorgelegt, das sich an das deutsche Volk richtet, sondern auch noch eine Youtube-Video auf Englisch publiziert, das sich an die Amerikaner richtet. Hier wird eine großes Maß an Narzissmus deutlich. Der Täter sieht sich als Retter, Erlöser, Befreier. Seine Tat trägt klar die Handschrift eines rechtsterroristischen Einzeltäters, eines „einsamen Wolfs“.
Seit wann gibt es „einsame Wölfe“?
Im Rahmen meiner Forschungen habe ich eine ganze Reihe von Fällen analysiert. Es gab schon in den 1990er Jahren einen „einsamem Wolf“, das war der Briefbomber Franz Fuchs in Österreich. Das war also noch vor dem virtuellen Zeitalter. Es gab in Amerika den sogenannten Una-Bomber, Professor Theodore Kaczynski. Im virtuellen Zeitalter ist eine Zäsur anzusiedeln: der Breivik-Terrorismus in Norwegen. Der damalige amerikanische Präsident Barack Obama sagte schon damals, dass von diesen „einsamen Wölfen“ künftig eine besondere Bedrohung ausgehen werde. Er sollte mit seiner Prophezeiung leider recht behalten. Auch Deutschland hatte dann – fünf Jahre nach Breivik – seinen ersten Fall. Es war die Tat von David S. in München, der am Olympia-Einkaufszentrum neun Menschen erschoss. Und dann kam das Jahr 2019 mit gleich drei fürchterlichen Fällen: Die blutige Attacke auf eine Moschee in Christchurch, Neuseeland – der Täter war vorher durch Europa gereist, er war auch in Deutschland -, dann der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke und der Terrorakt von Stephan B. in Halle.
Die von Ihnen zuletzt genannten Fälle machen deutlich, wie wichtig es ist, genau zu erkunden, ob jeder „einsame Wolf“ wirklich komplett einsam war. Hatten nicht viele „einsame Wölfe“ mindestens ein digitales Rudel in den Untiefen des virtuellen Raums und des Darknet?
Tatsächlich sind diese Täter immer auch Teil einer virtuellen Gemeinschaft und eines größeren ideologischen Rudels. Das ist mal stärker und mal schwächer ausgeprägt. Im virtuellen Raum basteln sich „einsame Wölfe“ ihre Ideologie zusammen und kommen zum Schluss, sie seien berufen, loszuschlagen.
Welche Rolle spielt soziale Isolation in der realen Welt bei „einsamen Wölfen“?
Eine ganz entscheidende. Alle Täter, die ich untersucht habe, waren sozial isoliert. Es handelt sich um beziehungsunfähige Männer mit zahlreichen persönlichen Frustrationen. Beim Fall von Hanau ist auffällig, dass der Täter ein gestörtes Frauenbild zu haben schien. Er spricht in seinen Texten auch davon, er habe extra angefangen zu studieren, um eine Frau kennenzulernen, nach einem Date habe er aber feststellen müssen, dass seine Bekannte auch irgendwie überwacht worden sei. Hinzu kommt: Der Täter wohnte bei seiner Mutter – die er nun auch umgebracht hat. Ein Breivik war auch wieder bei seiner Mutter eingezogen, und Stephan B., der Täter von Halle, hat ebenfalls bei seiner Mutter gelebt. Hier erkennt man ein Muster. Den Täter von Halle kannte man nicht einmal in der örtlichen Kneipe. Zugleich war er im virtuellen Raum sehr aktiv. Das heißt, das soziale Leben dieser Täter findet häufig mehr oder weniger komplett im Internet statt. Der Täter von Hanau hatte zum Beispiel auch eine eigene Web-Site, hatte zahlreiche Videos hochgeladen. Im Internet finden solche Leute leicht Gleichgesinnte, ihr ideologisches Rudel. Und dieses trägt dann zu einer weiteren Radikalisierung der Täter bei. Beim Individual-Terrorismus spricht man von einer spezifischen Radikalisierungsphase und irgendwann gibt es den sogenannten Trigger, den auslösenden Punkt, wo es dann in die Planungsphase übergeht, wo der Täter sich ganz konkret damit beschäftigt, wie er sich eine Waffe beschafft, und da kommt dann wie im Münchner Fall David S. auch das Darknet ins Spiel. Wie schon gesagt, auch ganz wichtig ist für „einsame Wölfe“ die Frage, wie sie PR-mäßig ihre Botschaft am besten verbreiten.
Welche Rolle spielt generell die Digitalisierung für die Entwicklung des Rechtsterrorismus‘?
Eine sehr entscheidende. Denn solche Leute haben jetzt ein effektives Mittel, sich eine persönliche Kränkungsideologie zurechtzuschneidern, sie finden Vorbilder. Es gibt ja mittlerweile sogar eine virtuelle Ahnengalerie von Attentätern. Eine Tat führt in gewisser Weise zur nächsten. Beim Täter von Christchurch fällt auf, dass er sich auf fast alle bisher bekannten vergleichbaren Täter bezieht. Diese Männer setzten sich also bei ihrer Tatvorbereitung häufig sehr intensiv mit ähnlichen Tätertypen auseinander. „Einsamen Wölfen“ ist sehr bewusst, dass man heute zum Terrorismus nicht mehr unbedingt eine Gruppe braucht, sondern dass man es dank Internet im Self-Made-Modus machen kann – sowohl ideologisch als auch praktisch.
Für einen Terroranschlag braucht man heute nicht mehr ein ausgeprägtes technisches Verständnis, im Netz können auch Dilettanten schnell Anleitungen für den Bau von Waffen oder Sprengvorrichtungen finden. Zudem gab es schon immer eine nennenswerte Zahl von radikalisierten Rechtsextremen. Verführt die digitale Vernetzbarkeit solche Leute verstärkt dazu, sich auch überregional zu terroristischen Netzen wie Oldschool Society oder die gerade erst aufgeflogene mutmaßliche rechtsterroristische „Gruppe S.“ zusammenzuschließen?
Das Netz eröffnet auch ungeahnte Möglichkeiten der internationalen Vernetzung. Bei der „Gruppe S.“ etwa soll es ja auch Verbindungen zu den aus Skandinavien stammenden Miliz „Soldiers of Odin“ geben. Auch in Deutschland haben wir eine beunruhigende Bewegung, eine Mischszene aus „Bürgerwehren“ und „Reichsbürgern“. Als ich heute Morgen das Manifest des Täters von Hanau gelesen habe, habe ich an vielen Stellen an die „Reichsbürger“ denken müssen.
ieso?
Sein roter Faden scheinen diverse Verschwörungstheorien zu sein, wie wir sie aus der „Reichsbürgerszene“ kennen. Hinzu kommen extremste Vernichtungsfantasien: Er zählt ganze Völker in Nordafrika, in Asien auf, die er alle vernichtet sehen möchte. Vieles deutet auf eine Mischung aus rechtsextremen politischen Motiven und psychischen Störungen hin. Aus meinen Forschungen zum Thema „einsame Wölfe“ weiß ich, dass das eine ohne das andere oft nicht zu denken ist.
Sind alle „einsamen Wölfe“ psychisch gestört?
Es gibt in der Regel Krankheitsgeschichten auch schon in frühen Kindheitsjahren. Bei Breivik oder dem München-Attentäter David S. etwa gab es entsprechende Diagnosen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein „einsamer Wolf“ psychische Störungen hat, ist sehr hoch. Bei den meisten in meinen Büchern beschriebenen Tätern lagen typische Krankheitsbilder aktenkundig vor. Ganz wichtig ist aber: Nicht jeder Mensch mit solchen Krankheitsbildern wird zum Terroristen. Und was man auch sehen muss: Psychisch gestörte „einsame Wölfe“ gehen sehr planhaft vor. Eine Rationalität des Irrationalen liegt also vor. Auch der Täter von Hanau hat sich auf seine Einzelhandlungen konzentriert.
Wie kann es den Sicherheitsbehörden gelingen, potentielle einsame Wölfe frühzeitig zu erkennen?
Es ist schwer, eine Nadel im Heuhaufen zu finden. Diese Täter sind oft nicht polizeilich bekannt, sie gehören keiner Szene im realen Leben an. Der Täter von Halle war in der rechtextremen Szene in Sachsen-Anhalt gar nicht bekannt. Aber Ermittlungen laufen, was Technologie betrifft, leider noch sehr konservativ. Der clevere Terrorist geht nicht auf Facebook oder Twitter, sondern auf Spieleplattformen – so war es bei den Tätern von München und Halle. Über Ego-Shooter-Spiele lernen die Täter dort nicht nur Gleichgesinnte kennen, sondern sie kommunizieren dort auch. Solche Leute, die 18 bis 20 Stunden am Tag im Internet sind, sind den Ermittlern oftmals auch ein, zwei oder drei Schritte voraus. Und zudem werden solche Taten auch oft entpolitisiert. So wie im Fall von München.
Sie haben den Fall damals als offizieller Gutachter der Stadt München untersucht und maßgeblich dazu beigetragen, dass die Tat heute als rechtsterroristisch eingestuft ist. Wie kam es dazu?
Ich war einer von insgesamt drei Gutachtern, konnte alle Ermittlungsakten auswerten, das waren 4000 Blatt. Es hat insgesamt drei Jahre gedauert, die Behörden davon zu überzeugen, dass das Motiv von David S. nicht Schulmobbing, sondern ein ganz klar rechtsextremes Motiv war. Die Tat weist zahlreiche Auffälligkeiten auf: Diese Mischung aus persönlichen Frustrationen, einem ausgeprägten Narzissmus. S. hatte auch ein Whatsapp-Bild von Brevik. Auch seine Opferauswahl sprach Bände: Er hat nur Menschen umgebracht, die augenscheinlich einen Migrationshintergrund hatten.
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