Porträt über mich in den Nürnberger Nachrichten am 17. Juli 2017, Seite 13:
Bei der Digitalisierung ist noch Nachhilfe nötig
Wissenschaftler untersuchte Stand des E-Government in Bayern — Beispiel Estland: Computer statt Behördengänge
VON ANDRÉ AMMER
Bayern soll bei der Digitalisierung Weltspitze werden. Die Zukunft des Freistaates werde sich vornehmlich auf diesem Feld entscheiden, sagte Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) vergangene Woche in einer Regierungserklärung im Landtag. Auf dem Weg in die erste Liga in Sachen modernes E-Government und freier Datenverkehr ist allerdings noch einiges zu tun. Das zeigt auch der Vergleich mit einem kleinen Land südlich des finnischen Meerbusens. MÜNCHEN
— Anfang des Jahres wurde Florian Hartleb Vater und hatte daraufhin eine ganze Latte von Behördengängen zu erledigen. Geburtsurkunde, Passeintrag, Anerkennung der Vaterschaft und ein reger Briefverkehr mit der deutschen Botschaft, denn sein Sohn sollte die doppelte Staatsbürgerschaft erhalten. „Unterlagen mussten beantragt, unterschrieben und dann auf dem Postweg wieder zurückgeschickt werden. Ich musste erst mal klären, welches Landratsamt überhaupt zuständig ist und bei manchen Behörden auch persönlich vorstellig werden“, erzählt der aus Passau stammende Politikwissenschaftler, der seit einigen Jahren hauptsächlich in Estland lebt. Neben viel Lauferei und Schreiberei hat der Papierkrieg ihn und seine Lebensgefährtin rund 300 Euro Verwaltungsgebühren gekostet. Ganz anders in Estland: Da konnte Hartleb alles Nötige bequem vom heimischen Computer aus erledigen und musste alles in allem etwa 20 Euro bezahlen. „Jeder Bürger hier hat von Geburt an eine digitale Identität, was Verwaltungsvorgänge viel einfacher und effizienter macht. Die Daten unseres Sohnes wurden zum Beispiel direkt vom Krankenhaus an unseren Hausarzt weitergeleitet“, erzählt der Wissenschaftler und Autor, der im Auftrag des US-amerikanischen Software-Konzerns Adobe Systems eine Studie über den Stand der Digitalisierung in bayerischen Behörden durchgeführt hat.
Bürger wählten online
Um geeignete Ansprechpartner zu finden, rief Hartleb in Rathäusern, Landratsämtern, Rechenzentren und anderen Behörden an, und die Ergebnisse waren teilweise ziemlich ernüchternd. Immer wieder traf er dort mit seinem Anliegen auf Ahnungslosigkeit. „Da kam schon mal als Antwort: Das macht unsere IT-Abteilung“, sagt Hartleb. Dabei habe eine IT-Abteilung mit der Digitalisierung von Verwaltungsakten wenig zu tun. Und für manche dezentral agierenden Behörden sei es schon ein revolutionärer Schritt, wenn sie auf ihrer Website Dokumente als PDF-Datei zum Herunterladen zur Verfügung stellen. Vor einigen Tagen hat der Politikwissenschaftler die Ergebnisse seiner Umfrage dem Landtag im Rahmen einer Tagung des „Bayerischen Anwenderforums E-Government“ vorgestellt und dabei die aktuelle Situation im Freistaat auch mit der in seiner Wahlheimat verglichen. Estland, das Anfang Juli für sechs Monate den EU-Ratsvorsitz übernommen hat, gilt als digitaler Vorreiter in Europa. Der 1,3 Millionen Einwohner zählende Ostseestaat war zum Beispiel 2005 das erste Land weltweit, in dem die Bürger online wählen konnten. Auch sonst können im Alltag nahezu alle Behördengänge mit ein paar Mausklicks über das Internet erledigt werden. Bei seiner Umfrage in Bayern hatte es Florian Hartleb immerhin überwiegend mit Gesprächspartnern zu tun, die dem digitalen Wandel aufgeschlossen gegenüberstehen. Über 60 Prozent der Befragten befürworten die dafür nötigen Veränderungen, knapp 40 Prozent nehmen eine neutrale Haltung ein und nur ein verschwindend kleiner Teil signalisierte in den anonymisierten Telefon-Interviews Ablehnung.
Der Name verpflichtet
„Montgelas 4.0 – Bayern auf dem Weg zu einem modernen E-Government“, lautet der Titel der Studie und knüpft damit an das Schlagwort „Montgelas 3.0“ an, unter dem das Finanz- und Heimatministerium seit 2014 eine eigene E-Government-Strategie vorantreibt. Der Name verpflichtet: Anfang des 19. Jahrhunderts setzte der Politiker Maximilian Carl Joseph Franz de Paula Hieronymus Graf von Montgelas tief greifende Reformen der öffentlichen Verwaltung, des Finanz- und Steuerwesens und der Rechtspflege durch und gilt damit als der Architekt des modernen Bayerns. Bisher kommt der digitale Fortschritt in Deutschland und auch in Bayern aber relativ langsam voran. Vor allem die Wirtschaft fordert, dass die Entscheidungsträger in der Politik in Sachen E-Government unbedingt einen Gang höher schalten müssen. „Das könnte den bayerischen Unternehmen viel Zeit und Geld sparen“, sagt Peter Driessen, Hauptgeschäftsführer des Bayerischen Industrie- und Handelskammertags (BIHK). Im Schnitt hat ein Betrieb nach Driessens Angaben etwa 130 Verwaltungskontakte pro Jahr – umso unbefriedigender sei es da, dass sich beispielsweise das angekündigte BayernPortal als zentraler Zugang zu staatlichen und kommunalen Online-Leistungen so lang verzögert habe. Aktuell belegt Deutschland bei der Digitalisierung im EU-Vergleich nur Platz 23, dabei amortisieren sich Investitionen in E-Government nach Ansicht von Experten innerhalb weniger Jahre.
Geduldige Bürger
Die Bürger hingegen scheinen sich mit Schlangen vor den Schaltern, Diskussionen mit Beamten und „analogen Formularen“ in mehrfacher Ausfertigung arrangiert zu haben. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern wie Österreich, der Schweiz oder Schweden liegt Deutschland bei der Nutzung von E-Government-Leistungen weit zurück. „Die Menschen fordern es nicht ein, weil sie es nicht anders kennen“, glaubt Florian Hartleb. Wenn man aber den direkten Vergleich mit einem Vorreiter wie Estland habe und sieht, dass das alles auch sehr viel einfacher funktionieren kann, komme man schon ins Grübeln. Der bayerische Politikwissenschaftler kann allerdings auch die Bedenken vieler Bürger nachvollziehen, die eine Aushöhlung des Datenschutzes befürchten. Auch in seiner baltischen Wahlheimat gebe es mitunter Kritik daran, dass nicht selten die persönlichen Rechte und Freiheiten hinter den digitalen Pionierleistungen zurückstehen müssen. Für die digitale Transformation im öffentlichen Dienst müssten deshalb unbedingt auch die rechtlichen Grundlagen in Sachen Datenschutz und Datensicherheit an die aktuellen und die künftigen Gegebenheiten angepasst werden.